Last updated on 8. Januar 2022

Was traditionelle Kunst dem Herzen bietet
Während die Welt auf die wachsende Besorgnis über das Virus der KPCh (Kommunistische Partei Chinas), allgemein bekannt als SARS-CoV-2, reagiert, sehe ich mich veranlasst, mein eigenes Verständnis von Güte in Frage zu stellen.
Was ist Güte? Was bedeutet es, sich direkt oder indirekt um diejenigen zu kümmern, die leiden? In unserer heutigen Zeit kann die Bedeutung dieser Frage gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Um Einsichten zu finden, wende ich mich an die Kunst.
Ein trauernder Künstler
William Bouguereau, ein französischer akademischer Maler, war einer der begabtesten Künstler des 19. Jahrhunderts. Er war auch entschlossen in seinem Wunsch, gut in seinem Handwerk zu sein. In seiner frühen Karriere verbrachte er lange Zeit damit, die Komplexität von Farbe und Form zu meistern. 1876 wurde er nach zwölf gescheiterten Versuchen in die angesehene Académie des Beaux-Arts des Französischen Instituts gewählt.
Bouguereaus harte Arbeit und Entschlossenheit zahlten sich für ihn aus: Er gewann häufig Wettbewerbe bei Salonausstellungen und internationalen Ausstellungen. Man wählte ihn zum Präsidenten verschiedener Organisationen, unter anderem zum ersten Präsidenten der Gesellschaft Französischer Künstler, ein von Baron Taylor gegründeter Wohltätigkeitsverein zur Unterstützung weniger bemittelter Künstler, sowie des Absolventenvereins der Hochschule in Pons.
Trotz seiner vielen Erfolge musste Bouguereau aber auch viele Entbehrungen ertragen. Mit seiner ersten Frau hatte er fünf Kinder, von denen vier an Krankheiten starben. Auch seine Frau starb kurz nach der Geburt des fünften Kindes.
In dem Buch „William Bouguereau: Sein Leben und seine Werke“ weisen die Autoren Damien Bartoli und Fred Ross darauf hin, dass Bouguereau mit diesen Nöten fertig wurde, indem er „sich in seine Kunst vertiefte, sein einziges wirksames Mittel gegen den Kummer.“
„Die erste Trauer“
Bouguereau goss seinen Schmerz und seine Trauer in seine Kunst, die er mit Stift und Pinsel ausdrückte. Sein Skizzenbuch wurde zu einem Tagebuch in Form von Bildern. Eines dieser Bilder wurde später zu „The First Mourning“ („Die erste Trauer“).
Kara Ross, Co-Vorsitzende und Chief Operating Officer des Art Renewal Center, sagt Folgendes über „The First Mourning“:
„Das Bild ist wirklich herzzerreißend und lässt den Betrachter ein großes Mitgefühl für das trauernde Paar empfinden. … „Erste Trauer“ wurde direkt nach dem Tod von [Bouguereaus] zweitem Sohn gemalt. Der Titel dieses Werkes ist gut gewählt, denn [für die jüdisch-christlichen Menschen] stellt es das erste Mal dar, dass ein Mensch den Verlust eines geliebten Menschen erleiden musste.“
„Die erste Trauer“ stellt den Moment dar, in dem Adam und Eva den leblosen Körper ihres Sohnes Abel finden, der von seinem Bruder Kain aufgrund seines Neides erschlagen wurde. Bouguereau organisierte die Komposition wie eine klassische „Pietà“ – ein italienisches Wort, das übersetzt „Mitgefühl“ oder „Erbarmen“ bedeutet. Die Figuren sind in einem Dreieck angeordnet – die stabilste kompositorische Struktur – und eine Figur sitzt mit einer weiteren Figur, die über ihren Schoß gestreckt liegt. Eine solche Anordnung einer Pietà lässt sich bereits in der Hochrenaissance bei Michelangelos berühmter Skulptur erkennen.

Es besteht jedoch eine Spannung zwischen der dreieckigen Komposition und der von den Figuren dargestellten Emotion. Die Verrenkung von Abels Körper trägt ebenfalls zu dieser Spannung bei. Durch diese Anordnung der Figuren hat Bouguereau ein Gefühl der Bewegung innerhalb der stabilen, dreieckigen Komposition geschaffen. Wir sollen die Ernsthaftigkeit des Ereignisses durch das Dreieck erkennen, aber den Schmerz des Ereignisses durch Bouguereaus meisterhafte Darstellung der menschlichen Emotionen durch die Körpersprache spüren.
Gleichzeitig dämpfte Bouguereau die Farben und neutralisierte ihre Intensität. Der graue Rauch des Opferaltars auf der rechten Seite des Hintergrunds scheint den gesamten Himmel zu füllen und zu dominieren und sogar die Figuren einzuhüllen. Der Hintergrund und die Verwendung von gedämpften Farben verstärken die Ernsthaftigkeit des Ereignisses.
Mitgefühl für das Leid
Dieses Gemälde lässt mich den Schmerz von Adam und Eva spüren, den Schmerz, der mit dem Verlust eines geliebten Menschen einhergeht. In diesem Sinne hat Bouguereau, zumindest für mich, die Aufgabe einer Pietà erfüllt: Mitgefühl. Ich empfinde Mitgefühl für das Leid, das Adam und Eva ertragen mussten und für die großen Verluste, die Bouguereau erlebt hat.
Durch die Komposition, die gedämpften Farben und die menschliche Emotion hat Bouguereau eine Stimmung geschaffen, die aufgrund des dargestellten Schmerzes eindringlich ist, ein Schmerz, der seit Beginn der Menschheitsgeschichte universell erlebt wird.
Was ist also Mitgefühl? Vielleicht lässt es sich nicht vollständig in Worten beschreiben, daher habe ich keine absolute Antwort auf diese Frage. Ich denke, dass ein Teil seines Wesens die Bereitschaft ist, auf andere Rücksicht zu nehmen, sich in andere hineinzuversetzen und so zu handeln, dass so wenig Schaden wie möglich entsteht. Und warum? Die Menschen leiden bereits. Jeder leidet. Es gibt keinen Grund, der Welt aufgrund mangelnder Rücksichtnahme noch mehr Leid zuzufügen.
Es ist leicht, auf die Erfolge eines anderen zu schauen und zu dem Schluss zu kommen, dass er weniger Mitgefühl braucht. Wenn wir nur auf Bouguereaus künstlerische Erfolge schauen, würden wir zum Beispiel die Tatsache übersehen, dass er sehr unter dem Tod von vier seiner Kinder und seiner ersten Frau litt. Wenn wir aufmerksam bleiben, stellen wir vielleicht auch fest, dass sein Leiden dort nicht aufhörte.
Dieses Bild erinnert mich daran, dass Leiden kein Wettbewerb ist. Das Leben ist kein Wettbewerb darüber, wer mehr leidet. Niemand will leiden, und doch tut es jeder. Leiden ist real, und jeder, der leidet – unabhängig von seiner sozialen Schicht, seiner wirtschaftlichen Klasse, seinem Geschlecht, seiner Rasse und so weiter – verdient Rücksicht und Mitgefühl.
Während ich durch diese Zeit der Pandemie navigiere, werde ich daran erinnert, an andere zu denken. Einige von uns sind nicht krank oder in Not, aber andere schon. Unnötige Reisen und Panikkäufe bringen andere in Gefahr. Ich muss in der Lage sein, in diesen schwierigen Zeiten für mich und meine Familie zu sorgen, aber ich sollte auch berücksichtigen, dass andere das Gleiche tun müssen.
Kunst hat die unglaubliche Fähigkeit, auf das hinzuweisen, was man nicht sehen kann, so dass wir fragen können: „Was bedeutet das für mich und für jeden, der es sieht?“ „Wie hat es die Vergangenheit beeinflusst und wie könnte es die Zukunft beeinflussen?“ „Was sagt es über die menschliche Erfahrung aus?“ Dies sind einige der Fragen, die wir in unserer Serie „Reaching Within“ erforschen: Was traditionelle Kunst dem Herzen bietet.
Über den Autor: Eric Bess ist ein praktizierender darstellender Künstler. Er ist derzeit Doktorand am Institute for Doctoral Studies in the Visual Arts (IDSVA).
Dieser Artikel erschien zuerst in Englisch auf theepochNspirement.com.
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