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Neue Entdeckung über die Anordnung von Materie verdutzt Forscher

Last updated on 15. September 2021

(Bild: iStock, 1041164916/Usis)

Unerwartete Beobachtung in Materie verblüfft Forscher der Texas A&M University: Mittels fortschrittlicher Mikroskopiemethode wurde erstmals eine Zwillingsgrenze in weicher Materie beobachtet. An dieser Grenzfläche ändert das molekulare Netzwerk des Materials spontan ständig seine räumliche Ausrichtung. Einfach ausgedrückt wird entlang dieser Grenze, von der man dachte, dass sie in weichen Materialien nicht existiert, immer wieder rechts zu links und umgekehrt. 

Materialien werden in der Wissenschaft normalerweise in harte und weiche Materie eingeteilt. Harte Materialien, wie zum Beispiel Metalle oder Keramik haben eine regelmäßige und symmetrische Anordnung ihrer Atome. Dieses stabile Gerüst aus Einheitszellen fügt sich zu einem festen periodischen Kristall zusammen und wir nehmen sie dadurch als „fest“ wahr. Kristallstrukturen in der von der Wissenschaft bezeichneten „festen Materie“ sind auf ihrer atomaren Ebene vergleichsweise gut untersucht. 

Obwohl die Anordnung der inneren Struktur von Kristallen genau definiert ist, gibt es in der Natur selten einen stabilen Idealkristall. Kommt es zu einer Änderung von außen wie einem zusätzlichen freien Elektron oder durch die Bewegung der Materie zu einer freien Bindungsstelle, kann es zu einer plötzlichen Strukturänderung kommen. Eine besondere Form davon ist die sogenannte Zwillingsgrenze. 

Was ist eine Zwillingsgrenze?

An einer Zwillingsgrenze findet eine Spiegelung der Kristallstruktur statt, wobei zwei Bereiche desselben Kristalls entstehen, die gegeneinander verdreht sind. Dieser Effekt findet bei überraschend niedriger Energie statt und kann in Materie an der Oberfläche zu Farbänderungen, Änderungen der Eigenschaften oder bei Wirkstoffen sogar zur Veränderung der Wirkung führen. Bisher dachten Forscher, dass eine Zwillingsgrenze nur in fester Materie vorkommen könne. 

Bei der sogenannten „weichen“ Materie – wie Polymeren – ging man hingegen davon aus, dass sie nicht zu solchen Strukturänderungen fähig ist. Obwohl man mittlerweile erkannte, dass auch weiche Materie kristallähnliche Strukturen ausbilden kann, hielt man die Umlagerung aufgrund der Größe der Strukturen für unmöglich. Während sich in fester kristalliner Materie das Muster im atomaren Maßstab bildet, formt es sich bei Polymeren aus viel größeren Molekülen. Zwei Beispiele als einfacher Vergleich: Das Metall Eisenoxid hat ein Molekulargewicht von 150 Gramm pro Mol, während Polymere ein Molekulargewicht im Bereich von mehr als 100.000 Gramm pro Mol aufweisen können. 

Nun haben Forscher jedoch entgegen aller vorherigen Annahmen erstmals auch in weichem Material eine „Zwillingsgrenze“ gefunden. 

Die überraschten Forscher sprechen dabei von einem absoluten „Black Swan“, also einem „Schwarzer- Schwan-Ereignis.“ Dies ist ein Überbegriff für ein „unvorhersehbares Ereignis, das über die Erwartungen an eine solche Situation hinausgeht und potenziell schwerwiegende Folgen hat.“

„Ich nenne diesen Defekt gerne einen topologischen Spiegel, und es ist ein wirklich toller Effekt“, erklärt Edwin L. Thomas, Professor für Materialwissenschaften und Korrespondenzautor der Studie. „Wenn man eine Zwillingsgrenze hat, ist es wie ein Blick in einen Spiegel, wenn ein Teil des Netzwerk die Grenze überquert, wechseln die Netzwerke ihre Händigkeit, aus rechts wird links und umgekehrt.“

Welche Seite ist Links und welche Rechts? – Beide. 

In ihrer Studie untersuchten Forscher der Texas A&M University ein A-B-Diblock-Copolymer mit dem Namen Polystyrene-b-Polydimethylsiloxane. Dies ist einfach zusammengefasst ein Polymer, das sich aus zwei Ketten zu einem Netzwerk formt. Wenn man polymerartige Flüssigkeiten und Hydrogele betrachtet, kann man dieses Netzwerk mit freiem Auge nicht sehen. Die Flüssigkeit sieht meist ganz normal durchsichtig aus oder hat eine leichte Trübung. Elektronenmikroskopische Untersuchungen offenbaren jedoch die Struktur im Inneren der sogenannten viskoelastischen Flüssigkeiten im Nano- beziehungsweise Mikrobereich.

Auf mikroskopischer Ebene zeigt eine Einheitszelle dieses Materials ein räumliches Muster, der sogenannten „Doppelkreisel“-Form. Dies ist eine komplexe, periodische Struktur, die aus zwei ineinander verschlungenen Molekülnetzwerken besteht. Eines davon weist eine Linksdrehung auf, das andere eine Rechtsdrehung – zumindest zeitweise, wie die mikroskopischen Aufnahmen der Forscher zeigen. 

Hier ist die ständige Veränderung der Struktur entlang der Zwillingsgrenze gut erkennbar.
Quelle: Feng X, Zhuo M, Guo H, Thomas EL (2021) Visualizing the double-gyroid twin. Proc Natl Acad Sci 118:. https://doi.org/10.1073/pnas.2018977118

Während die Forscher eigentlich nur die mikroskopische Struktur des Materials untersuchen wollten, entdeckten sie durch die 3D-Analyse mittels Elektronenmikroskop den besonderen Oberflächendefekt, der als Zwillingsgrenze bezeichnet wird. Auf beiden Seiten der Grenze änderten die molekularen Netzwerke abrupt ihre Ausrichtung und formten abwechselnd die beobachteten Muster. Welche Seite ist also rechts und welche links? Wenn es nach dem untersuchten Co-Polymer geht, anscheinend abwechselnd beide Seiten.

Eine schematische Darstellung des Effekts: 

Professor Thomas erklärt weiter, dass die Folgen dieser Zwillingsgrenze in einer periodischen Struktur, die an sich keine Spiegelsymmetrie hat, neuartige optische und akustische Eigenschaften hervorrufen könnten, die vollkommen neue Türen in der Materialtechnik und Technologie öffnen können.

Ein weiterer Punkt, den die Forscher in ihrer Studie ansprechen, ist die Bedeutung der Entdeckung für den menschlichen Körper. Dieser besteht aus vielen polymeren Strukturen und sogenannter „weicher Materie“. 

„In der Biologie wissen wir, dass schon ein einziger Defekt in der DNA, eine Mutation, eine Krankheit oder eine andere beobachtbare Veränderung in einem Organismus verursachen kann. In unserer Studie zeigen wir einen einzelnen Zwillingsdefekt in einem Doppelgyroid-Material“, sagte Professor Thomas und spielt darauf an, dass die Forschung im biologischen Bereich noch vor einer wesentlich komplexeren Fragestellung steht. 

Welche Auswirkungen diese unerwartete Spielebene und die sich ständig veränderten Effekte mit sich bringen, kann nur intensive zukünftige Forschung klären. Eindeutig lässt sich damit sagen, dass das derzeitige wissenschaftliche Verständnis von Materie noch weit von deren wahrem Kern entfernt zu sein scheint und wohl noch viele weitere Überraschungen bereithält. 

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